Der Künstler als Meister. Ein Modell kunstwissenschaftlicher Geschichtsschreibung

Dr. Gregor Wedekind

 

Die Beschreibung des Künstlers als Meister ist eine Autorenprojektion, die ihre Emphase aus dem Bezug auf Kunstgeschichte im Sinne einer Geschichte unvergänglicher ästhetischer Werte bezieht. Das Meisterkonzept setzt das Konzept "Kunstgeschichte" als übergeordneten Maßstab voraus, an dem der Grad der Meisterschaft gemessen und überhaupt allererst erkennbar wird. In der Zuweisung von Innovation als Überwindung althergebrachter Formeln, der Neukonzeption formaler Sprachmittel an Einzelne, die sich ihres Materials mit unbedingter Willkür zu bedienen wissen, bricht sich eine durchaus moderne Vorstellung Bahn, in der eine triumphale Selbstermächtigungsgeste in Szene gesetzt wird.

Bei der Erforschung der frühen niederländischen Kunst spielt die Meisterprojektion deswegen eine besondere Rolle, da hier immer zugleich die "Entdeckung der Welt und des Menschen" (Burckhardt) verhandelt wurde, womit ganz generell der Prozeß der Ablösung oder Überwindung des Mittelalters durch die Neuzeit gemeint ist. Zur Debatte steht der Schritt der Emanzipation der Kunst von ihren religiösen Funktionen, der Prozeß der Autonomisierung der Kunst, wir er zuletzt einmal mehr für die frühe niederländische Malerei in so pointierter wie trügerischer Weise als "Erfindung des Gemäldes" (Belting) beschrieben worden ist. In dem Maße, in dem Kunstgeschichte als Geschichte zunehmender Autonomisierung von Kunst verstanden wird, impliziert sie immer schon den autonomen Meisterkünstler, so wie umgekehrt für die "Zeit vor der Kunst" ein namenloses, anonymes Mittelalter ohne wahre Meister.

In meinem Vortrag soll es darum gehen, den Meisterkünstler als ein Modell kunstwissenschaftlicher Geschichtsschreibung zu analysieren und seine Bedeutung für die Erforschung der frühen niederländischen Malerei seit ihrer Wiederentdeckung in der Romantik nachzuzeichnen. Gefragt werden soll, welche geistesgeschichtlichen Prämissen der Rede von Meisterwerken als autonome Verkörperungen hoher Kunst und von Meistern als Schöpfern von Neuem zugrundeliegen und inwiefern sich hier Ideologeme der Genieästhetik mit einer seit der Antike herausgebildeten historiographischen Tradition, in der Geschichte in Form von Biographien heldenhafter Männer personalisiert erscheint, verbinden.

Zu fragen ist auch, was die Alternative zum Meisterkünstler darstellt. Sicherlich kann diese nicht in einer "Kunstgeschichte ohne Namen" - und ohne Meister - bestehen, in der ihrerseits Autorenprojektionen am Werk sind, eben die von Künstlerautoren als Medium eines wie auch immer zu fassenden Zeitgeistes oder eines epochalen Stilwillens. Kann dagegen das Zurückdrängen eines starken Autorbegriffs etwa zugunsten des "Repräsentationssystems Kunst" tatsächlich den geschichtsphilosophischen Prämissen des modernen Kunstbegriffs ausweichen und kann die methodisch und historisch differenziertere Kartographie des Gegenstandes einen Vorschlag machen, der das Problem nicht nur verschiebt?

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 01.07.2009
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