Auf der Suche nach Meistern

Ein kunsthistorisches Methodenproblem am Beispiel der Frühen Niederländer (7.-9. Mai 2004)
Leitung: Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma, Dr. Dominique Vanwijnsberghe

Ausgangssituation, Leitfragen und methodisches Herangehen

 

Wie einst Apelles soll Jan van Eyck eine Malweise erfunden haben, deren Farbe an Strahlkraft nicht zu übertreffen war. Mit dieser auf Plinius zurückgehenden Topik schließt sich Vasari einer auch bei den Frühhumanisten vertrauten Panegyrik zu den vielgepriesenen Meistern einer neuen Kunst in den Niederlanden an. Künstler, insbesondere Maler und Bildhauer, wurden mit Lob ausgezeichnet, und ihre Bedeutung drang weit über die Bereiche ihres Wirkens hinaus. Ihr Ruhm zog nicht nur Käufer, sondern auch Schüler an, die nach eigener Bedeutung strebten.

Die Fokussierung auf "große Männer", die den Aufbruch nicht nur in eine neue Kunst, sondern gar eine neu Zeit wagten und schafften, entsprach durchaus dem stark subjektivierten Selbstverständnis der Zeitgenossen. In ganz besonderem, noch immer anhaltendem Maße prägte sie aber auch die Kunstgeschichtsschreibung. Nicht nur deren Urväter wie eben Vasari, sondern noch viel stärker die Vorstellungen vom Schöpfergenius im 18. und 19. Jahrhundert trugen zu einer heute noch gültigen Kunstgeschichte der Meisternamen bei.

Bis in die jüngsten Publikationen ist die Darstellung der frühen niederländischen Kunst eine Geschichte der großen Namen. Ausstellungen gelten Einzelkünstlern wie Dirc Bouts, Hans Memling oder Petrus Christus. Allein in den letzten zehn Jahren sind mehrere Monographien zu Jan van Eyck und Rogier van der Weyden entstanden. Übersichtswerke, wie die 1994 von Hans Belting und Christiane Kruse verfaßte Publikation "Die Erfindung des Gemäldes" widmen sich ausschließlich den traditionellen Meistern. Während Max J. Friedländer und Erwin Panofsky noch ausführliche Kapitel zum "anonymen" Umfeld beitrugen, konzentrieren sich Belting / Kruse ganz auf die großen Namen.

Neben der "Höhenkammkunstgeschichte" und von dieser weitgehend unbemerkt sind freilich in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend historische wie auch kunsthistorische Forschungen zu dem breiteren, meist anonymen Umfeld vorgelegt worden. Ein wesentlich komplexeres Bild der Kunstproduktion beginnt sich abzuzeichnen, in dem die großmeisterlichen Werke eine deutlich andere, zumindest aber weniger isolierte Rolle spielen. Teppiche, Buch- und Wandmalerei sowie anonyme Tafelbilder beginnen sich zu einer "Kunstszene" zu fügen, in der den namentlich überlieferten Künstlern nicht die erratische Rolle einsamer Genies zukommt, sie vielmehr eingebettet sind in ein ihnen zulieferndes, sie prägendes soziales, kulturelles und künstlerisches Biotop. Textquellen wie auch die Objekte selbst lassen uns eine mobile Organisation von Arbeit erahnen, die uns zwingt, die Frage nach der Erkennbarkeit einer "künstlerischen Handschrift" zu stellen. Nicht nur waren Künstler in unterschiedlichen Gattungen tätig und wirkten sowohl als Wand-, Buch- wie auch Tafel- und Faßmaler. Sie scheinen zudem eine technische Variationsbreite entwickelt zu haben, die es ihnen durchaus erlaubte, unterschiedliche Stilmodi zu beherrschen. Ebenso weisen manche Erfahrungen darauf hin, daß Kooperationen eine Austauschbarkeit des Formen- und Arbeitsstils anstrebten und eine für eine Gruppe von Kräften verbindliche Sprache entwickelt wurde. Während für die altdeutsche Malerei der Begriff des unverkennbaren Personalstils zunehmend in Frage gestellt wird und etwa bei Lucas Cranach d. Ä. die Künstlersignatur eher als Unternehmerzeichen, denn als Ausdruck der Eigenhändigkeit verstanden wird, ist dieser Ansatz für die frühe niederländische Malerei bisher nur angedacht, aber nie systematisch erfragt worden.

Das vom 7. bis 9. Mai 2004 in Heidelberg stattfindende Symposium wendet sich der Frage nach der Existenz von Meistern als Schöpfern des künstlerischen Aufbruchs in den Niederlanden zu. Unterschiedliche Gattungen wie Textilien, Buch- und Wandmalerei sollen neben den bisher weitgehend isoliert gesehenen Tafelwerken auf ihre Rolle in der Entwicklung der "ars nova" und ihre Beziehung zu der zweifellos zunehmend führenden Tafelmalerei dargestellt werden. Anonyme Werke also, von denen eine unvorstellbare Menge verloren ging, die aber das "Bild" künstlerischer Produktion intensiv geprägt haben müssen, werden daraufhin befragt, welchen Anteil sie an den neuen Bewegungen hatten, welche verbindenden Beziehungen sich zu den "Meisterleistungen" herstellen lassen. Sind diese Objekte zu Recht der Anonymität verfallen oder lassen sich organisatorische, künstlerische, gar mediale Entwicklungen ablesen, die auch für die Meisterwerke gelten, ja für deren Einschätzung gewisse Rückschlüsse erlauben? Dabei dürften vor allem Untersuchungen zu Werkstattfragen, Spezialisierungen und deren Gegenteil, den Kooperationen, zu neuen Ergebnissen führen. Technologische Befunde sind ebenso einzubeziehen wie Quellenstudien und die kennerschaftliche Berücksichtigung von Stil-, Form-, Struktur- und Inhaltsfragen.

Das Symposium ist in zwei Blöcke geteilt. Den Objekten und ihrer Erforschung sind die Referate vom 7. und 8. Mai gewidmet. Der 9. Mai soll allein dazu dienen, anhand eines Beitrags und einer Podiumsdiskussion der Kernfrage nachzugehen, welche Prämissen das Konstrukt des meisterlichen Personalstils voraussetzt, welcher Erkenntniswert mit einer solchen Bezeichnung verbunden sein kann und welche methodischen Zugehensweisen dessen Bestätigung oder Falsifizierung erlauben. Zwischen den sich mit völlig verschiedenen Gattungen wie Teppichen, Buch-, Wand- und Tafelmalerei sowie auch der Skulptur befassenden Spezialisten eines kulturell geschlossenen Gebietes wie den Niederlanden soll so ein Gespräch über ihre jeweiligen Methoden und deren gegenseitige Verwendbarkeit in Gang gebracht werden.

Die Untersuchung des Konstruktes "Meister" weist aber weit über die niederländische Kunst hinaus, befaßt sie sich doch mit einer der wichtigsten Grundlagen kunsthistorischer Forschung und deren historisch vorgeprägten, bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Wurzeln. Ein Ansatz zu einer Differenzierung der Vorgehensweisen, der Abklärung ihrer jeweiligen Aussagekraft - etwa am Beispiel der neuen Technologien im Vergleich zur überkommenen Kennerschaft - ist ebenso zu erwarten, wie ein anderes Bild der frühniederländischen Aufbruchssituation. Der Name des Meisters wird dabei wohl nicht demontiert, aber als Konstrukt für einen multiplen, komplexen Entstehungszusammenhang verstanden werden, der uns heute als einheitlich erfahrbar geworden ist.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 31.07.2009
zum Seitenanfang/up